7 September 2009 16:30 | Franziskanerkloster Saal B

Intervention



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Joachim Gnilka

Katholischer Theologe, Ludwig-Maximilians-Universität, München
 biografie

1. Zwischen Judentum, Christentum und Islam bestehen wichtige Verbindungen. Wenn man sie zueinander in Beziehung setzt, wird regelmäßig herausgestellt, dass es innerhalb des großen Konzerts der Weltreligionen sich um jene drei Religionen handelt, die sich zu Einem Gott bekennen, dass es die drei monotheistischen Religionen sind im Unterschied zu polytheistischen, animistischen und anderen Varianten religiösen Lebens.

Verdichten und Konkretisieren lässt sich diese Verbindung weiterhin dadurch – und das ist eine verbreitete Perspektive – dass diese drei Religionen eine Beziehung zu Abraham haben. Man spricht deshalb auch von den drei abrahamitischen Religionen. Dabei aber bleibt für uns hier und jetzt zu bedenken, dass wir von Abraham wissen durch unsere heiligen Schriften. Und damit sind wir beim Thema.

Abraham ist der Stammvater des jüdischen Volkes. Mit seiner Geschichte beginnt in Genesis 12 nach der Schöpfungsgeschichte und der Urgeschichte der Menschheit, das, was wir theologisch die Heilsgeschichte nennen. Mit seiner Berufung, die als erstes in Genesis 12 erzählt wird, ist der Befehl Gottes verbunden, auszuziehen aus seinem Land, seiner Verwandtschaft und seinem Vaterhaus. Gott schließt mit ihm und seinen Nachkommen einen ewigen Bund. Als Zeichen dieses Bundes erhält er die Beschneidung. Aber schon mit dem Befehl, aus seinem Land auszuziehen, ist die Verheißung verbunden, die auf die Völker gerichtet ist: „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde“ (Gen 12,3).

Im Neuen Testament ist zu wiederholten Malen von Abraham die Rede. Johannes der Täufer, der letzte der Propheten, warnt vor einem falschen Vertrauen auf die Abrahamskindschaft: „Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken“ (Mt 3,9). Am wichtigsten ist wahrscheinlich Röm 4, wo Paulus mit rühmenden Worten über den großen Glauben Abrahams spricht: „Abraham glaubte Gott und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet“. Wenn Paulus den Glauben Abrahams zum Urbild des christlichen Glaubens erklärt, so tut er es keinesfalls, um den Juden, um Israel Abraham wegzunehmen. Vielmehr lässt er die Priorität Israels unter allen Umständen gelten. Es kommt ihm aber darauf an, im Sinn der Verheißung die gläubig gewordenen Heiden and er Abrahamskindschaft teilhaben zu lassen.

Auch im Koran ist Abraham von großer Bedeutung. Der Islam kann sogar als die Religion Abrahams bezeichnet werden. Dabei ist für den Koran wichtig, dass Abraham sich zum Glauben an den einen Gott bekehrt hat, nachdem er zuvor Sterne, Mond und Sonne als Götter verehrt hat (Sure 6,74ff). Diese Konversion ist verbunden mit einem unversöhnlichen Streit, den Abraham mit seinem Vater führt, den er vergeblich zu seiner Gotteserkenntnis führen will. Im übrigen ist erwähnenswert, dass der Koran nicht wie die Bibel die Abhängigkeit von Abraham über Isaak, dem Sohn Sarahs, ableitet, sondern über Ismael, dem Sohn Hagars, der Sklavin Abrahams. Immerhin war Ismael vor Isaak geboren worden. Doch wurde Hagar mit Ismael nach der Geburt Isaaks von Abraham vertrieben.

2. Das Neue Testament ist voll des Alten Testaments. Ohne das Alte wäre das Neue Testament nicht verstehbar. Jesus war Jude. Dieses zu sagen, ist so selbstverständlich geworden, dass es wie eine Platitude erscheint. Jesus hat das Gesetz, die Thora des Mose, ausgelegt (Bergpredigt). „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist, ich aber sage euch“. Er hat seine sittliche Weisung aus dem Alten Testament abgeleitet. Manche Interpreten meinen, dass das, was Jesus in der Bergpredigt gelehrt hat, alles seine Parallelen in der jüdischen Literatur der Zeit habe. Vielleicht muss man auf die Akzentsetzungen achten. Wenn Jesus die Thora auslegt und seinen Hörern vorlegt, tut er im Grund genommen dasselbe, was die jüdischen Religionsparteien und ihre Schulhäupter taten (Hillel, Schammaj). Die Pharisäer, die Sadduzäer, die Leute von Qumran hatten auch ihre je eigene Schriftauslegung. Ich erwähne das Vaterunser, das Gebet, das wir Jesus verdanken und das ein ganz jüdisches Gebet ist. Es hat eine starke eschatologische Ausrichtung. Die Bitte „Es komme dein Reich“ steht im Zentrum. Das Vaterunser hat in der jüdischen Liturgie bezüglich seiner einzelnen Bitten seine Parallelen (Achtzehn-Bitten-Gebet). Nur in seiner eschatologischen Intensität hebt sich das Vaterunser von jüdischen Parallelen ab.

Im Neuen Testament, besonders in den Evangelien und im Corpus Paulinum, doch in nahezu allen neutestamentlichen Schriften, wird auf das Alte Testament hingewiesen im Sinn der Erfüllung. „Dies ist geschehen, damit das Wort der Schrift erfüllt werde...“ (so in den Evangelien), „wie geschrieben steht“ (so bei Paulus), lesen wir immer wieder. Damit werden die beiden Testamente, die beiden Bünde, die beiden Schriften zu einer Einheit zusammengebunden. So ist es die christliche Sicht. Der Weg ist vorgezeichnet. Was im Neuen geschieht, ist im Alten vorgegeben. Auch Jesus hat von der Erfüllung gesprochen: „Glaubt nicht, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Nicht bin ich gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn Amen ich sage euch: Bis der Himmel und die Erde vergeht, wird kein Jota und kein Häkchen vom Gesetz vergehen, bis alles erfüllt ist“ (Mt 5,17f). Er wusste sich selbst unter diese Norm gestellt. Als er am Ölberg verhaftet wird, sagt er zu Petrus, der den Gang der Dinge aufhalten möchte: „Stecke dein Schwert an seinen Ort! ... Wie sollten also die Schriften erfüllt werden, dass es so geschehen muss“ (Mt 26,52.54).

3. Wir teilen mit dem Judentum die Schrift des Alten Testaments. Das ist möglich geworden, weil Jesus, der Begründer des Christentums, Jude war, weil die Urgemeinde von Jerusalem, die Urzelle des Christentums ausschließlich judenchristlich war – man könnte auch sagen – weil sie jüdisch war, weil die zwölf Apostel Juden waren. Es ist das große Geschenk, das wir von unseren Brüdern und Schwestern, den Juden und Jüdinnen, über Jesus und die Jerusalemer Urgemeinde erhalten haben. Es ist die feste und große  Brücke, die uns mit dem Judentum verbindet, die Kirche und Synagoge zusammenbringt. Der Differenzpunkt ist der Blick auf Jesus. Das Judentum steht noch in der Erwartung des Messias, in der Verheißung, die im Alten Testament zahlreiche Spuren hinterlassen hat und die an David erging: „... wenn du dich bei deinen Vätern zur Ruhe gelegt hast, will ich deinen leiblichen Sohn zu deinem Nachfolger bestimmen... ich will seinen Königsthron für alle Zeit festigen. Ich will ihm Vater sein, er wird mir Sohn sein“ (2Sam 7,12-14). Nach christlichem Glauben hat sich die Verheißung in Jesus von Nazaret vorläufig erfüllt. Ich sage „vorläufig“, weil auch wir noch in der Erwartung der zweiten und endgültigen Parusie dieses Messias stehen. Demnach bleibt ein gemeinsamer Ausblick auf das Kommende, auf den Kommenden, der in der Schrift verwurzelt ist und der Juden und Christen verbindet. Schmerzlich ist die Erinnerung an die Vorwürfe, die Christen den Juden im Zusammenhang mit dem Kreuzestod Jesu gemacht haben. Wir Christen haben Schuld auf uns geladen und müssen die Juden um Vergebung bitten. Wir wissen heute klarer, dass , theologisch gesprochen, wir alle Anteil haben am Tod Jesu in Sünde und Vergebung, und wir wissen, dass, historisch gesprochen, das Todesurteil über Jesus vom Römer Pontius Pilatus ausgesprochen und vollstreckt wurde.

4. Auch der Koran hat enge Beziehungen zur Schrift des Alten Testaments und auch zum Evangelium, aber in weit stärkerem Maß zum Alten Testament. Es ist zu wiederholten Malen von den „Leuten der Schrift“ oder „des Buches“ die Rede. Damit sind Juden und Christen zusammengefasst. Dabei könnte man auch übersetzten: „die Leute der Bibel“. Es wird aber auch differenziert von den Juden und Christen gesprochen. Die Christen werden immer Nazara genannt. Das sollte man mit „Nazarener“ übersetzen, ein sehr alter Name für die Anhänger Jesu, der diesen im Anschluss an Jesus, den Nazarener gegeben wurde. Als Name für die Anhänger Jesu begegnet er in Apg 24,5: „Wir haben erkannt, dass dieser Mann (Paulus) schädlich... und ein Anführer der Sekte der Nazarener ist“.

Im Koran werden die alttestamentlichen Geschichten von der Schöpfung, von Noach, Abraham und Mose mit dem Auszug des Volkes aus Ägypten, von Josef immer wieder erzählt. Auch die Erzählungen vom Turmbau zu Babel, von Kain und Abel sind bekannt. Interessant ist, dass diese alttestamentlichen Traditionen nicht gemäß dem Text des Alten Testaments zitiert werden, sondern zum Teil in wörtlicher Übereinstimmung mit jüdischen Midraschim (H. Speyer). Zentral ist das Bekenntnis zum Monotheismus, das immer wieder angesprochen wird, etwa im sogenannten Thronvers: „Allah. Es gibt keinen Gott außer ihm, dem Lebendigen, dem Beständigen“ (Sure 2,255). Vergleiche dazu das Schema Israel Dtn 6,4f: „Höre Israel! Der Herr ist unser Gott, der Herr allein. So liebe denn den Herrn, deinen Gott, mit ganzem Herzen usw.“.

Jesus kommt im Koran 14 mal vor. Am häufigsten heißt er Jesus, Sohn der Maria. Jesusgeschichten betreffen ausschließlich die Kindheit Jesu. Vermutlich gab es ein arabisches Kindheitsevangelium, aus dem vermutlich auch die Geschichte vom Vogelwunder stammt, das das Jesuskind gewirkt habe. Es werden nur zwei evangeliare Perikopen nacherzählt, die Geschichten von der Verheissung der Geburt Johannes des Täufers und von der Verheissung der Geburt Jesu. Wir finden auch einige wenige Jesusworte vor, die aber nicht als Jesusworte gekennzeichnet werden, etwa das Wort vom Kamel und Nadelöhr (Mt 19,24; Sure 7,40). In Sure 48,29 haben wir eine Anspielung auf das Gleichnis vom Sämann. Der grösste Differenzpunkt ist das christliche Bekenntnis zu Jesus dem Gottessohn. Es wird immer wieder – zum Teil mit scharfen Worten – angegriffen.

5. Ich glaube, dass es zwei Aspekte gibt, die geeignet sind, uns näherzubringen. Einmal ist es die Berufung auf Abraham. Mit der Erwählung Abrahams beginnt die Heilsgeschichte, die Geschichte Gottes mit seinem Volk. Die Völker sind verschiedene Wege gegangen. Aber Abraham ist unser aller Vater des Glaubens. Isaak und Ismael hatten zwar verschiedene Mütter, aber einen gemeinsamen Vater. Die Berufung auf Abraham und insbesondere auf seinen starken Glauben, der sich in seinem Leben und in seinem Tod auswirkte, könnte uns in eine Richtung drängen, die uns zueinander führt.

Der zweite Aspekt ist der Glaube an Gott den Schöpfer. Es schliesst die Konsequenz in sich, dass wir uns als Geschöpfe dieses Gottes verstehen. In Bibel und Koran, in Psalmen und Hymnen wird Gott als Schöpfer gefeiert. Es ist ein Akkord, der sich vereinigt. Die Erkenntnis, Geschöpf zu sein, führt uns zur gemeinsamen Aufgabe, Verantwortung zu übernehmen für die Schöpfung, die bedroht ist, für unseren schönen blauen Planeten, der es als Lebensgrundlage aller Menschen zu bewahren gilt.