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Shoten Minegishi

Buddhistischer Mönch, Soto-Zen, Japan
 biografie

Zu Anfang

Ich heiße Shoten Minegishi aus Japan und bin siebenundfünfzig Jahre alt. Ich meine doch nicht, dass ich selber schon ein Ater bin. Ich bin deshalb in diesem Sinne einer, der das Geschenk des Alters noch nicht zuteil wird. Hören Sie also bitte die Rede als eine Rede von solchem Mann.

Zunächst möchte ich mich vorstellen. Vor zweiunddreißig Jahren war ich zum ersten Mal in Deutschland. Ich war der erste Gast von einem Austauschprogramm zwischen asketischen Mönchen des Zens und Mönchen des Kontemplationsorden der Katholischen Kirchen, der im Jahre 1979 angefangen hatte. Ich wurde von der Erzabtei Sankt Ottilien, einem Kloster des Benediktinerordens, der ca. fünfzig Kilometer westlich von München entfernt liegt, eingeladen und erfuhr drei Woche lang das europäische Ordensleben, das Sankt Benedikt führte. Dazwischen haben meine japanische Kollegen in jedem Kloster in anderen europäischen Ländern das Ordenleben ebenfalls erfahren. Wir kamen dann in Rom zusammen und teilten eine Woche lang jedes Erlebnis untereinander. Und unser letztes Programm war die Audienz bei Papst Johannes Paul II. Und ich habe darüber hinaus zwischen 1982 und 1984 an der Erzabtei Sankt Ottilien Spiritualität sowie an der Universität München Theologie jeweils studiert.

Meine erste Begegnung mit der Gemeinschaft Sant’Edigio war auch in der Erzabtei Sankt Ottilien. Anlässlich der 100-jährigen Jubiläumsfeier der Erzabtei Sankt Ottlien habe ich die Leute der Gemeinschaft, die von Rom gekommen waren, zum ersten Mal gesehen.

Ein von meinen Lebensthemen ist Dialog zwischen dem Buddhismus und dem Christentum. Und der Ausgangspunkt war, wie ich eben gesagt habe, in Bayern. München ist also, so könnte ich wohl sagen, meine zweite Heimat. Es ist mir deshalb vor allem große Ehre, hier in München eine Rede zu halten.

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Von Freude erfüllt möchte ich gern über das uns gegebene Thema zusammen nachdenken. Ich spreche jetzt von meinen einigen persönlichen Geschichten. Denn das sind zwar Geschichten derjenigen, die zu mir in naher Beziehung stehen und das ist deshalb mir sehr wichtig. Aber ich glaube, nicht nur dies sondern kann man durch eine einzelne Erfahrung von einer Allgemeinheit sprechen.

Von den Unterschieden des religiösen Übungssystems zwischen dem Zen und der Katholischen Kirche habe ich schon in den bisherigen Treffen der Gemeinschaft Sant’Edigio mehrmals gesprochen. Es gibt zwar sicherlich etwas Gemeinsames, mit dem man einander gut tauschen kann, dennoch immerhin große strukturelle Unterschieden da. Einfacher gesagt: Das gegenwärtige Zen befindet sich, meiner Auffassung nach, zwischen dem katholischen Orden und der protestantischen Kirche. Was damit gemeint ist: Damit man einen buddhistischen Oberpriester wird, muss man prinzipiell unbedingt in einer festgelegten Zeitspanne in einem besonderen Platz für Meditation an sich arbeiten. Aber wir kehren, nachdem man die asketischen Übungen konzentriert geführt hat, in jeden Tempel zurück. Unsere religiöse Tätigkeiten werden im Tempel geführt. Fast alle Priester haben ihre Familie und sie führen zusammen mit ihrer Familie die Tätigkeiten, Anhängern zur Lehre zu führen. Und die Stellung als Priester wird seinem Kind nachgefolgt. In Japan in der Gegenwart wird dies als normal angenommen.

Nach dem Studium in Deutschland war meine Heirat bestimmt. Aber vor einer Woche der Hochzeit war mein Vater, der gleichzeitig mein Lehrmeister ist, plötzlich tot. Und weil er auch in einer Verantwortungsstellung war, habe ich desto größeren Druck gehabt. Da hat mein Onkel mir gesagt: „In meinem bisherigen Leben habe ich ähnliche Situationen meiner Bekannten dreimal erfahren.“ Das hat mich überrascht. Die eine in seiner Bezirksgemeinschaft, die andere in seinem Freundschaftskreis und noch eine andere. Die Worte meines Onkels klang mich als eine Botschaft, die mich aufmuntert: „Die Erfahrung gehört nur dir!“ Er hat deshalb mehrere Erfahrungen als ich, weil er alt war. Seine reiche Erfahrungen retteten mich, der in außerordentlichen Not geraten hatte. Ich denke, „Älterwerden“ enthält gleichzeitig die Bedeutung von reichen Erfahrungen. Ich glaube, es gibt dort ein Geschenk dessen, dass man älter wird. Mit anderen Worten: Es gibt sicherlich eine Welt, die nur alte Menschen sehen können. Und sicherlich die Worte, von den nur sie sprechen können.

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Anderes Beispiel: von meiner Mutter.

Seit letztem Jahresende hat meine Mutter Knieschmerzen und war sehr schwierig zu gehen. Sie ist dann seit letztem Juni in einem Altersheim. Meine siebenundachtzigjährige Mutter war bis letztem Jahr sehr gesund und war mit den Tätigkeiten im Tempel aktiv beschäftigt wie ich. Aber leider nicht mehr. Sie hat sich selbst entschieden, in ein Altersheim einzutreten, weil unser buddhistischer Tempel strukturell nicht dazu passend ist, Rollstuhl im Haus zu gebrauchen. Sie ist jetzt von den Personal des Heims gut besorgt. 

Bei alten Menschen gibt es verschiedene Übelständen: Unfreie Beweglichkeit des Körpers, mehrere Groll, immer neidischer, ein Gefühl, dass die Zukunft seines Lebens zugemacht sei, usw. Aber erst wenn sie beginn, im Altersheim zu wohnen, hat sie zum ersten Mal bemerkt, wie sie bis dahin unbekümmert gelebt hat, wie es ihr gefällt. Älterwerden sowie Unfreiheit des Körpers entblößt zwar auf der einen Seite, die Schwäche des Menschen, gibt doch auf der anderen Seite uns eine Gelegenheit, sich selbst wieder gut zu sehen.

Was ich mich mit ihren Worten gefühlt habe, ist, dass man in seiner körperlichen Schwäche eher tiefer sich selbst prüfen kann. Und in der Vertiefung kann man gegen andere freundlicher sein.

Das ist das zweite Geschenk dessen, dass man älter wird.

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Drittes Beispiel:

Eine Geschichte meines Nachbars, der im letztem Februar im Alter von siebenundneunzig Jahren verstorben war. Als er jung war, verlor seine Frau gleich nach der Heirat. Sie ließ einen Säugling zurück. Da trat eine Frau vor ihm aus. Sie hat, um das Baby zu retten, sofort mit ihm geheiratet, ohne Gerede der Leute zu scheuen. Sie hat statt Milch Reisbrei mit Zucker dem Baby gegeben. Sie hat in großer Schwierigkeit das Kind großgezogen. Gleich nach dem zweiten Weltkrieg riet alle Menschen in Japan in Not. So etwas wie Trockenmilch konnte man damals nicht erhalten. Seine Dankbarkeit für Ihre Aufrichtigkeit war so groß, dass er gegen sie 50 Jahre lang immer in seinem Herzen die Hände zum Gebet faltet. Einmal sagte er dies zu mir. Als der Alte, der sich mit Forstwirtschaft beschäftigte, seinen Monolog führte, bewegte seine fünfzigjährige Dankbarkeit wirklich mich tief. Vor dem Leben, das mit der Geduld, Bemühung und Liebe derjenigen, die bis dahin gegenseitig geholfen haben, erfüllt ist, habe ich wirklich große Achtung gehabt, Die Zeit vertieft die Worte, welche Erfahrungen spiegelt, und lässt sie stärker und klarer heranwachsen. In den Worten des Alters ist deshalb, so kann man wohl sagen, irgendeiner tieferer Sinn enthalten. Ich denke, das ist auch ein Geschenk dessen, dass man älter wird.

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Was das Älterwerden angeht, so scheint es mir, eher im Osten einen höheren Wert zu schätzen als im Westen. Die Menschen im Osten denken, dass die reichen Erfahrungen den Menschen der Umgebung besseren Rat geben könnten. Ich habe einfach bisher so vermutet.

Doch ich verstehe jetzt, dass es eine Seite gibt, die Weisheit der Menschen mehr herbeizuführen, wenn man dem Tod gegenübersteht. Das Wesentlichere äußerte Martin Heidegger. Nach seiner Bestimmung sei ein Mensch „Sein zum Tod“. Ist es damit gemeint, dass Menschen zum Tod leben? Und wenn das Leben richtig dem Tod gegenübergestellt ist, sagt er „eigentlich“ und wenn nicht, dann „uneigentlich“. Wenn jemand dem Tod richtig gegenübersteht, soll er, nach Heidegger, zu „Eigentlichkeit“ geführt werden. Dass man zum Tod gegenübersteht, sind zwar auch für Junge möglich. Doch das muss eher ein Privileg der alten Menschen sein. Wenn so ist, dann gibt es sicherlich eine Seite dessen, dass die Weisheit, das „Ich“ zur eigentlichen Lebensweise zu führen, dem Alten dadurch zuteil wird, dass man zum Tod gegenübersteht.

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Bei dem Zweiten Weltkrieg wurden viele Menschenleben verloren. Viele tränten, viele vergossen ihr Blut, viele mussten vor jeden jämmerlichen Lage stehen und Geduld haben. Japaner waren darüber hinaus auch Atombombe zu erleben. Erste wenn wir die Wichtigkeit des Frieden und Gedeihens von den Menschen, die die schrecklichen und traurigen Tatsachen in der Geschichte selber erfahren hatten, unmittelbar hören, dann sind wir imstande, dazu geführt zu werden, dass man zum Eigentlichem der Frage gegenüberstehen kann. Darin, dass man älter wird, gibt es verschiedene, sowohl schmerzliche wie auch schöne Erfahrungen, durch welch die Ansicht zu sich selbst und dem Leben vertiefen. Um die Gegenwart besser zu entwickeln, ist uns immer wichtig, von den alten Menschen mehr etwas zu hören, wie die Leute von der Gemeinschaft Sant Egidio dies bisher getan haben.

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Dieses Jahr ist das Jahr, das genau zehn Jahre vergangen ist, nachdem sich die Katastrophe am 11,September 2001 in New York ereignete. Wenn ich dann nach meinem Heimatland Japan meinen Blick richte, gibt es dort auch kritische Lage, die das große Erdbeben, der Tsunami und das Unglück vom Atomkraftwerk in Fukushima verursachten. Und wir leben dennoch so in solcher schwierigen Lage. Damit jeder von uns imstande ist, einen Alten, der von seinen Erfahrungen richtig sprechen kann, zu werden, müssen wir in der gegebenen schwierigen Lage gemeinsam mit anderen jetzt ernst leben.

Meine Damen und Herren, wir sind Genossen, die einander in einer Welt leben. Wollen wir den Fragen in der gegenwärtigen Welt gegenüberstehen! Wollen wir gemeinsam auf die Vergangenheit zurückblicken und das Jetzt aus der Vergangenheit heraus lernen, indem wir den Alten, die schrecklichen Erfahrungen der Vergangenheit haben, zuhören! Und wollen wir uns, um einen guten Zeuge der jetzigen Zeit zu werden, an der gegenwärtigen Frage beteiligen! Wie der Himmel überall in der Welt ohne Grenze immer da ist, haben wir ohne Zweifel gute Freunde, die gemeinsam gehen. Das Selbstbewusstsein unterstützt uns ganz sicher, wie schwer die Lage auch sein mag.

Ich will mit Ihnen zusammen gehen, um die Lebensweise zu suchen, mit der man ein Geschenk des Alters bekommen kann.

Ich danke Ihnen recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.