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Marco Impagliazzo

Historiker, Präsident der Gemeinschaft Sant’Egidio
 biografie

Wir haben in Madrid intensive Tage der Freundschaft und der Reflexion über das Thema „Frieden ohne Grenzen“ erlebt. In dieser Schlusszeremonie leben wir unter uns bereits die Schönheit einer Welt ohne Grenzen. Ohne auf unsere Traditionen, Überzeugungen oder Identitäten zu verzichten. Wir haben keine Masken aufgesetzt und keine Kompromisse für eine schnelle Einigung geschlossen. Der Stolz auf unsere Verschiedenheit widerspricht nicht der Schönheit der Einheit im Frieden. 

Wir haben an verschiedenen Orten gebetet, denn die Religionen sind verschieden. Verwirrung und Synkretismus entsprechen nicht dem Empfinden von gläubigen Völkern. Aber wir haben nicht gegeneinander gebetet. Wir haben nicht gebetet und uns dabei gegenseitig vergessen. Jetzt, im Herzen von Madrid, steigt eine Frage auf aus den Brunnen des Gebets und dem humanistischen Denken, die zum Schrei und zur Fürbitte wird: Möge der Frieden kommen, ein großer Friede jenseits der Grenzen!
Der Himmel ist nur einer! An den Himmel wenden sich alle im Gebet. In der Verzweiflung wie in der Freude, aus den notdürftigen Zufluchtsorten unter den Bomben in Syrien wie im Gottesdienst in den Kirchen, den Synagogen, den Moscheen, den Tempeln. Der Himmel ist nicht in den Grenzen gefangen. Denn der Gott des Himmels und der Erde, des Friedens und der Barmherzigkeit, ist für alle. Der Mann und die Frau die leiden, unterdrückt durch Armut, Krankheit und Kriege, den Naturkatastrophen ausgesetzt, haben, wenn sie ihre Hände auf der Suche nach Rettung erheben, keine Hautfarbe, keine Ethnie, keine Nation, keine Erkennungszeichen. Wir sind hier auch wegen ihnen: Ihr Schrei kann nicht eingegrenzt werden hinter Mauern, in der Gleichgültigkeit.
Im Gebet erwächst ein Friede, der sich vom Herzen aus ausbreitet auf diejenigen, die uns in der Welt nahe sind. Keiner kann uns den Frieden unseres Herzens wegnehmen. Dieser Friede ist eine Kraft, die mächtiger und überzeugender ist als die Gewalt oder die Arroganz des Geldes und der Partikularinteressen. 
In der globalen Welt brauchen wir alle ein Zuhause: Wir brauchen eine Nation, eine Sprache, eine Kultur. Die Welt aber ist ein globales Dorf mit vielen verschiedenen Häusern: Sie ist das gemeinsame Haus. Wir nennen sie „Ökumene“: das bedeutungsvolle Wort, das ursprünglich das Haus meint, in dem wir alle leben. Es ist die Kultur des Zusammenlebens. Von Madrid aus verpflichten wir uns, das Haus des Nachbarn nicht als das Haus eines Außenstehenden zu betrachten, sondern als das Haus der eigenen Verwandten. „Alle verwandt, alle verschieden“ sagte eine Frau, die das Konzentrationslager überlebt hat. Nur wenn wir Brücken des Dialogs und der Begegnung bauen zwischen den Häusern des globalen Dorfs, wird der Fluss des Friedens ruhig strömen können.
Heute wird sichtbar, dass die Umwelt sehr leidet. Sie ruft uns auf, uns des gemeinsamen Hauses bewusst zu werden. Heute zeigen wir unsere Solidarität mit den Völkern des Amazonas. Die Luft, die wir einatmen, kennt keinen Zoll, es ist die gleiche Luft für alle. Die Jugendlichen haben das als erste verstanden und stehen auf in jedem Teil der Welt, sie setzen sich großzügig ein für einen lebenswerten Planeten. Und viele junge Menschen haben an diesem Treffen in Madrid teilgenommen!   
Dreißig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer will „Frieden ohne Grenzen“ nein sagen zu den Mauern jeder Art. Mögen also die gläubigen Männer und Frauen die historische und prophetische Aufgabe auf sich nehmen, die Barrieren niederzureißen und die Welten zu vereinen. Sie mögen dies tun mit der schwachen Kraft des Gebetes, des Dialogs und der Begegnung. Damit ein Frieden ohne Grenzen entsteht. Dieser Friede wird die Menschen vom Stolz der Einsamkeit und der Überlegenheit befreien. Er wird Dialog dorthin bringen, wo Krieg ist, Entwicklung im Kampf gegen die riesige Armut, Verantwortung für die vielen Migranten und  Flüchtlinge, die in der Welt ein Zuhause suchen. Gott trennt uns nie, sondern vereint uns. 
Unsere Aufgabe ist nicht zu Ende, ja neue Herausforderungen stehen vor uns. Deshalb wollen wir uns nicht nur zum täglichen Tun verpflichten, sondern wir verabreden uns zu einem neuen Treffen im Geist von Assisi im Oktober 2020 in Rom.