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Shaykh Muhammad bin Abdul Karim al-Issa

Generalsekretär der islamischen Weltliga
 biografie

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Verantwortungsträger,
Eminenzen, Exzellenzen, meine Damen und Herren,
ich freue mich über dieses brüderliche Treffen, das in der gewohnten Professionalität der Gemeinschaft Sant'Egidio organisiert wurde, und spreche bei dieser Gelegenheit meinen Dank und meine Wertschätzung aus. Ich beginne damit, den Frieden Gottes auf euch alle herabzurufen. Unsere islamische Religion lehrt uns, dass Gott der Gnädige, der Barmherzige ist. Die himmlischen Religionen lehren uns auch, dass die Erschaffung der Menschheit vom Geist, dem Geist Gottes, ausgeht und dass der Mensch nach dem Bild des Schöpfers geschaffen wurde. Aber was bedeutet das?
Was bedeutet es, nach dem Ebenbild des Schöpfers (gepriesen sei Gott!) gestaltet zu sein, da Gott unseren Vater Adam nach Seinem Ebenbild erschaffen hat? Es bedeutet, dass der Mensch die Würde und Heiligkeit der Schöpfung genießt, eine Heiligkeit, die vom Geist Gottes ausgeht. Sie ist ein Vorrecht des Menschen, das ihm gegenüber anderen Geschöpfen allein zukommt.
Aber dieses Vorrecht des Menschen impliziert eine konsequente und unabdingbare Verpflichtung, eine Art unvermeidlicher Tribut. Gemeint ist ein Tribut des Glaubens und der Ethik, der den verschiedenen Umständen angemessen entsprechen muss und in unserer Zeit höher denn je ist. In der heutigen Welt herrschen Zusammenstöße und Blutvergießen vor, Schlachten ohne Ende, die einen Kampf sehen zwischen Brüdern des gleichen Glaubens, Brüdern aus dem nahen Umfeld, Brüdern mit vielen gemeinsamen Vorlieben und im allgemeinen zwischen Brüdern in der einen, einzigen Menschheit, die, wie oben erwähnt, die Heiligkeit der Schöpfung, die Heiligkeit des Geistes impliziert.
Die Ereignisse des russisch-ukrainischen Krieges erregen weltweit Besorgnis und die Vereinten Nationen haben in dieser Hinsicht eine äußerst wichtige Position bezogen. Es bedarf jedoch eines loyalen, weisen, ernsthaften und unnachgiebigen Engagements, um dieser schmerzhaften, blutigen Konfrontation ein Ende zu bereiten. Als Gläubige rufen wir Gott jeden Tag an, damit Verständnis und Frieden herrschen und die Brüder zurückkehren, um sich zu umarmen. Gut so!
Wenn in unserer Welt Spaltungen aufkommen, entsteht in der Folge eine Art Leere, in der negative Ideen und Interpretationen keimen, die wiederum Überzeugungen und Entscheidungen hervorbringen, die manchmal äußerst schwerwiegend und kompliziert sind. Der friedliche Dialog und loyale Absichten und Zusicherungen vermeiden nicht nur den Beginn von Auseinandersetzungen, sondern erzeugen Klarheit, Verständnis, Zuneigung und gemeinsames Engagement. Ein Mindestmaß an gegenseitigem Wohlwollen ist unabdingbar, während das Fehlen von Wohlwollen gleichbedeutend mit wechselseitiger Erstarrung und Eigensinnigkeit ist und genährt wird von Anmaßung und dem Geist, sich gegenseitig herauszufordern.

So groß die Meinungsverschiedenheiten auch sein mögen, es gibt keinen Gegensatz, der ohne Lösung bliebe, wenn Dialog und gesunder Menschenverstand eingesetzt werden. Für jedes Alibi gibt es ein Gegenmittel. In Kriegen gibt es im Gegensatz zu dem, was vorgetäuscht wird, keinen Gewinner und keinen Verlierer, vielmehr sind alle Verlierer. Die einzige Weise, mit der die Niederlage in diesem gefährlichen und komplizierten Konflikt besiegt werden muss, ist die Logik der Weisheit, die die Nationen untereinander vereinbart hatten, als sie einen internationalen Pakt ratifizierten, nämlich den der Charta der Vereinten Nationen, die besagt: „Wir, die Völker der Vereinten Nationen, sind entschlossen, künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu retten, die im Laufe dieser Generation zweimal unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat.“

Allerdings stellt das Vetorecht, wie einige Verfassungsrechtler behaupten, eines der undemokratischsten Elemente in der UNO dar, während andere glauben, dass dieses Vetorecht die größte Garantie für internationale Stabilität darstellt und nicht im Widerspruch zu demokratischen Werten steht. Eine juristische Debatte, auf die man nicht näher eingehen muss. Ich komme zurück auf das anfangs Gesagte und wiederhole: Gott hat uns auf der Grundlage dieses heiligen und würdevollen Modells geschaffen und gemeinsame menschliche Werte in unsere Natur gesät. Daher kann man sagen, dass Kriege in unserer Außenwelt das Ergebnis eines inneren Konflikts und einer gegenseitigen Distanz sind. Beides ist durch ein Missverständnis rund um die Ratio unseres Lebens erzeugt worden. Leider. Diese Gier und dieser Wunsch nach Akkumulation, selbst auf Kosten unserer gemeinsamen Werte und unserer Brüder in der Menschheit, führen zu einem befremdlichen Verhalten, das die heutige Weltordnung widerspiegelt und für die Zukunft der Menschheit, der Gerechtigkeit und ihrer gemeinsame Werte nichts Gutes verspricht.

Ich glaube, dass es zwei Kategorien der Verwüstung gibt, die auf die Ausbreitung des militärischen Vorgehens in unserer Welt zurückzuführen sind. Erstens: eine eklatante Verwüstung von Leben, Häusern, Nahrung und Nationen. Zweitens: eine Verwüstung des Geistes, nicht nur zu Lasten der Kriegsopfer, sondern auch derer, die ihn auslösen. Kriege verbreiten Barbarei und Gier. Wenn aber der Einzelne sich auf politische und wirtschaftliche Vorteile konzentriert, vergisst er, dass das menschliche Leben heilig ist. Im Islam glauben wir in dieser Hinsicht, dass die Erschaffung des Menschen, seines Geistes und seiner menschlichen Natur, heilig sind; darüber hinaus streben wir keine weitergehende Sakralisierung dessen an, was im Werden ist. Wir verweilen bei der Heiligkeit der Schöpfung, der des Geistes.

An dieser Stelle können wir uns fragen: Spiegelt unser Leben wirklich das Bewusstsein wider, dass jeder von uns ein menschliches Wesen ist? Der Mensch ist das Geschöpf, das die Gnade der Schöpfung und ihren heiligen Geist empfangen hat. Er ist eine verantwortungsbewusste Kreatur der Erde, die damit beauftragt ist, diese Welt zu behüten. Daher: Welche Rolle müssen die Gläubigen in diesem neuen Konflikt spielen? Welche Rolle spielen sie bei der Friedensstiftung? Aufrichtiges Vertrauen in die gerade erwähnten Prinzipien, das heißt Vertrauen in gemeinsame Werte, lässt uns einen der Gründe für unsere Existenz in diesem Leben tief verstehen. Der Glaube an den einen Schöpfer ist eine Lehre... Die Erde aufzubauen und sie zu beschützen ist eine Verantwortung... Diese Verantwortung zu spüren, ausgehend vom Glauben und dem Bewusstsein, dem Schöpfer Rechenschaft ablegen zu müssen, stellt das grundlegende Element dar, um die Klugheit, Toleranz, Begegnung und Motivation walten zu lassen.
All dies ergibt sich aus religiösen Prinzipien (trotz lehrmäßiger Unterschiede) und zeigt deutlich, dass Religion einen einschneidenden Wert hat. Einige Gläubige haben jedoch die Religion durch ihre Taten in eine unregierbare oder unzuverlässige Kraft verwandelt, was etliche blutige Kriege in der Geschichte verursacht hat. Wir haben beobachtet, was daraus folgt, wenn der authentische Glaube an den Schöpfer eine andere Bedeutung annimmt und wenn religiöse Wahrheiten missbraucht werden, indem man sie verändert, um Gewalttaten anzustiften.
Unsere Welt hat unter den Folgen von Versuchen gelitten, die Religion zu manipulieren, und die Menschheit hat unsägliche Zerstörung und Aggression erlebt. Unsere Welt hat im Laufe der Geschichte unter Konflikten zwischen Anhängern verschiedener Religionen und Zivilisationen und unter der Verschärfung von Spaltungen gelitten, die die gemeinsamen Nenner vernachlässigt haben, die geeignet sind, den Weltfrieden und die friedliche Koexistenz zwischen den Gemeinschaften zu garantieren. Das Problem liegt nicht in der Religion an sich, sondern ergibt sich aus ihrer Lesart, ihrer praktischen Umsetzung und der Verzerrung ihrer edlen Ziele im Dienste verachtenswerter oder habgieriger Interessen. Ich glaube nicht, dass es eine schlimmere Ausbeutung gibt als die der Religion, wenn Betrüger im Namen des Schöpfers sprechen und ihre Herde mit Lügen täuschen.

Denken Sie zum Beispiel an die Geschichte der islamischen Welt und die Europas in Bezug auf Ideenaustausch, Innovation und Philosophie. Während die Gelehrten von Bagdad die Werke von Platon und Aristoteles lasen, wurde die hier in Italien blühende Renaissance – teilweise – von muslimischen Künstlern und Intellektuellen sowie von verschiedenen Autoren anderer Religionen und Zivilisationen inspiriert.

Diese menschliche Vielfalt muss für Wohlstand und Entwicklung genutzt werden. So wie der Mensch nicht alleine agieren kann, müssen Zivilisationen auch voneinander profitieren, weshalb die Vereinten Nationen kürzlich mit der Gründung der „Alliance of Civilizations“ eine glückliche Initiative gestartet haben. Es ist an der Zeit, dass wir als Menschen erkennen, dass Unterschiede und Vielfalt zwischen uns Teil der Natur des Lebens und unvermeidlich sind. Das ist der göttliche Wille, ein Wille, der nur unser Gutes will, im Gegensatz zu der Denkweise der Bösen. Gott ist wirklich barmherzig zu seinen Geschöpfen. Für die islamische Weltliga haben wir Mekka zu unseren Hauptsitz erwählt, weil (diese Stadt) einen großen Raum für die Gelehrten, Intellektuellen und jungen Menschen der muslimischen Welt bietet. Wir verpflichten uns, Respekt für alle zu bewahren, Dienst an der Menschheit zu leisten, wir verpflichten uns, alle zu lieben und tolerant zu sein, ungeachtet ihrer Fehler und Vergehen, weil wir wissen, dass der Mensch einen Samen des Guten in sich trägt, der in seinem Gewissen gesucht und lebendig gemacht werden muss und der durch gute Werke nach außen wirkt.

Brüder und Schwestern,
Der Schutz unseres Planeten ist eine kollektive Verantwortung, und es liegt an den religiösen Führern, Menschen auf ehrliche und effektive Weise spirituell zu inspirieren. Daher ist ihr religiöses Bündnis dank ihrer gemeinsamen Nenner von grundlegender Bedeutung, um eine kollektive, starke und dynamische Botschaft auf der ganzen Welt zu verbreiten. Dafür sind auch die Vereinten Nationen (UN) verantwortlich, die internationale Organisation, die ein Statut verabschiedet hat, um den Frieden in unserer Welt zu garantieren.
Wir sind uns bewusst, dass die UNO eine Staatengemeinschaft ist. Jedes Scheitern ist eine Schwächung der internationalen Entschlossenheit und macht uns alle zu Verlierern. Nichts ist schwerwiegender als der Verlust unserer Menschlichkeit, ein Verlust, der unsere gemeinsame moralische und menschliche Ordnung untergraben würde, und wir alle wissen genau, was die Folge wäre. Wir alle wollen Frieden für unsere Welt, und es wird keinen Frieden geben, außer durch unseren inneren Frieden und unser gegenseitiges, weises und brüderliches Verständnis.
Wir werden zweifellos gegen jede Verletzung unserer gemeinsamen Werte angehen und siegen, für eine Welt, in der Liebe, Verständnis und Frieden herrschen. Vielen Dank für Ihr freundliches Zuhören. Friede, Gottes Barmherzigkeit und sein Segen seien mit Ihnen