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Papst Franziskus, Abschlussveranstaltung „Der Schrei nach Frieden“ – Rom, 25.10.2022

Sehr geehrte Vertreter der christlichen Kirchen und Weltreligionen

Brüder und Schwestern, sehr geehrte Damen und Herren!

Ich danke jedem, der an diesem Gebetstreffen für den Frieden teilnimmt. Mein besonderer Dank gilt den christlichen Führern und den Religionsoberhäuptern, die von dem Geist der Geschwisterlichkeit beseelt sind, der die erste historische Einberufung inspirierte, die der heilige Johannes Paul II. vor sechsunddreißig Jahren in Assisi wünschte.

In diesem Jahr ist unser Gebet zu einem „Schrei" geworden, denn heute wird der Friede ernsthaft verletzt, verwundet, mit Füßen getreten: und das in Europa, d.h. in dem Kontinent, der im letzten Jahrhundert die Tragödien der beiden Weltkriege erlebt hat – und wir befinden uns jetzt im dritten Weltkrieg. Leider haben Kriege seither nie aufgehört, die Erde mit Blut zu beflecken und ärmer zu machen, aber der Moment, in dem wir leben, ist besonders dramatisch. Deshalb haben wir unser Gebet zu Gott erhoben, der den verzweifelten Schrei seiner Kinder immer erhört. Erhöre uns, Herr!

Der Friede steht im Mittelpunkt der Religionen, in ihren Schriften und in ihrer Botschaft. In der Stille des Gebets haben wir heute Abend den Schrei nach Frieden gehört: Frieden, der in so vielen Regionen der Welt zugrunde gerichtet und gedemütigt wird durch zu viel Gewalt, der selbst Kindern und alten Menschen verwehrt wird, die von der schrecklichen Härte des Krieges nicht verschont bleiben. Der Schrei nach Frieden wird oft nicht nur durch die Kriegsrhetorik, sondern auch durch Gleichgültigkeit zum Schweigen gebracht. Er wird durch den Hass zum Schweigen gebracht, der im Kampf entsteht.

Doch der Schrei nach Frieden kann nicht verstummen: Er entspringt den Herzen der Mütter, er steht auf den Gesichtern der Flüchtlinge, der fliehenden Familien, der Verwundeten oder der Sterbenden. Und dieser stumme Schrei steigt zum Himmel auf. Er kennt keine Zauberformeln, um aus Konflikten herauszukommen, aber er hat das unantastbare Recht, im Namen des Leids, das durchlitten wurde, um Frieden zu bitten, und er verdient es, Gehör zu finden. Er verdient es, dass alle, angefangen bei den Herrschenden, sich niederbeugen und mit Ernsthaftigkeit und Respekt zuhören. Der Schrei nach Frieden verleiht dem Schmerz und dem Grauen des Krieges Ausdruck, der der Vater aller Armut ist.

„Jeder Krieg hinterlässt die Welt schlechter, als er sie vorgefunden hat. Krieg ist ein Versagen der Politik und der Menschheit, eine beschämende Kapitulation, eine Niederlage gegenüber den Mächten des Bösen" (Fratelli tutti, 261). Dies sind Überzeugungen, die aus den leidvollen Erfahrungen des 20. und leider auch dieser Jahre des 21. Jahrhunderts stammen. Heute geschieht das, was wir befürchtet haben und nie hören wollten: dass der Einsatz von Atomwaffen, die schuldhaft auch nach Hiroshima und Nagasaki weiter produziert und getestet wurden, nun offen angedroht wird.

In diesem düsteren Szenario, in dem die Pläne der Mächtigen der Erde leider nicht den gerechten Bestrebungen der Völker Folge leisten, ändert Gott seinen Plan nicht, der „Gedanken des Heils und nicht des Unheils" umfasst (vgl. Jer 29,11). Er hört auf die Stimme der Stimmlosen, das ist die Grundlage für die Hoffnung der Kleinen und der Armen: nämlich Gott, dessen Name Frieden ist. Der Friede ist sein Geschenk, und wir haben ihn von ihm erfleht. Aber diese Gabe muss von uns Männern und Frauen, vor allem von uns, den Gläubigen, aufgenommen und gepflegt werden. Lassen wir uns nicht von der perversen Logik des Krieges anstecken; tappen wir nicht in die Falle des Hasses auf den Feind. Lasst uns den Frieden wieder in den Mittelpunkt unserer Zukunftsvision stellen, als zentrales Ziel unseres persönlichen, sozialen und politischen Handelns auf allen Ebenen. Lasst uns Konflikte mit der Waffe des Dialogs entschärfen.

Während der schlimmen internationalen Krise im Oktober 1962, als eine militärische Konfrontation und eine nukleare Eskalation unmittelbar bevorzustehen schienen, veröffentlichte Johannes XXIII. folgenden Appell: „Wir bitten alle Machthaber inständig, diesem Schrei der Menschheit gegenüber nicht taub zu bleiben. Sie sollen alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Frieden zu retten. Sie werden der Welt die Schrecken eines Krieges ersparen, dessen schreckliche Folgen nicht absehbar sind. [...] Dialoge zu fördern, zu stärken und auf allen Ebenen und zu jeder Zeit umzusetzen, ist eine Regel der Weisheit und der Klugheit, die den Segen des Himmels und der Erde zur Folge hat" (Radiobotschaft, 25. Oktober 1962).

Sechzig Jahre später klingen diese Worte verblüffend aktuell. Ich mache sie mir zu eigen. Wir sind nicht „neutral, sondern auf den Frieden ausgerichtet". Deshalb berufen wir uns auf das Ius pacis als das Recht aller, Konflikte ohne Gewalt zu lösen" (Treffen mit Studenten und der akademischen Welt in Bologna, 1. Oktober 2017).

In den letzten Jahren hat die Geschwisterlichkeit zwischen den Religionen entscheidende Fortschritte gemacht: „Schwesterreligionen, die den Völkern helfen, Brüder im Frieden zu sein" (Friedenstreffen der Religionen, 7. Oktober 2021). Wir haben mehr und mehr das Gefühl, dass wir alle Geschwister sind! Vor einem Jahr haben wir genau hier, vor dem Kolosseum, einen Appell gestartet, der heute noch aktueller ist: „Religionen dürfen nicht für den Krieg benutzt werden. Nur der Friede ist heilig, und niemand darf den Namen Gottes benutzen, um Terror und Gewalt zu befürworten. Wer Kriege in seiner Umgebung erlebt, darf nicht resignieren! Die Menschen wollen Frieden.“

Und genau das versuchen wir auch weiterhin zu tun, immer besser, Tag für Tag. Geben wir uns nicht dem Krieg hin, sondern verbreiten wir die Saat der Versöhnung; und erheben wir heute den Ruf nach Frieden zum Himmel, einmal mehr mit den Worten des heiligen Johannes XXIII. (Pacem in Terris, 91): „So werden unter Gottes Führung und Schutz alle Völker sich brüderlich umarmen, und so wird stets in ihnen der ersehnte Friede herrschen.“ Möge es so sein, mit Gottes Gnade und dem guten Willen der Männer und Frauen, die er liebt.

Eigene Übersetzung der Redation