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Pater Eric Englert

Präsident von missio München, Deutschland
 biografie

Wenn ich als Vertreter von missio, dem Internationalen Katholischen Missionswerk, zu diesem Panel eingeladen bin, dann geht mein Blick verständlicherweise über München, ja auch über Europa hinaus, selbst wenn beim Thema „Gesichter der Armut in der Stadt“ meine frischeste Erinnerung eine Meldung im Rahmen des Weltjugendtages in Madrid ist, in der berichtet wurde, dass in Spanien über 45 Prozent der Jugendlichen arbeitslos sind. Sie gehören damit ganz sicherlich zu den Armen unserer Zeit. Ihr Protestlager vor dem Weltjugendtag wurde gewaltsam aufgelöst. Aber ist es nicht skandalös, wenn die Wirklichkeit versteckt wird? Und ist es nicht total alarmierend und nicht hinnehmbar, dass Jugendliche keine Perspektive für ihre Zukunft haben, sie ihr Leben nicht in die eigenen Hände nehmen können?

„Gesichter der Armut in der Stadt“ – sie haben in unseren europäischen Städten oft eine andere Hautfarbe. Sie begegnen uns vermehrt an den Rändern Europas. Und sie wären noch viel zahlreicher, wenn nicht das Mittelmeer zu einem grausigen Grab für viele Menschen geworden wäre, die aus Afrika geflüchtet sind, in der vergeblichen Hoffnung, ihr Heil in Europa zu finden. Und wer von den Flüchtlingen es lebend beispielsweise bis nach Lampedusa gebracht hat, der erlebt eine weitere Enttäuschung. Ohne Chance auf offizielle Anerkennung gehen die meisten der Flüchtlinge schnell in den Untergrund und leben meist in Städten als Illegale, in der ständigen Angst, entdeckt und ausgewiesen zu werden. Es passiert tatsächlich, dass in der Nacht Migranten, die bereits jahrelang hier gelebt haben, aufgegriffen, in Flugzeuge gepackt und in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Was hier teilweise gerade auch in Deutschland geschieht, ist unglaublich und spricht einem Rechtsstaat Hohn, wie ein beeindruckender, eigentlich deprimierender Film gezeigt hat, der im vergangenen Jahr mit dem deutschen Menschenrechtsfilmpreis ausgezeichnet wurde. Und wer in Europa illegal lebt, hat keine Möglichkeit, eine Stelle mit Arbeitsvertrag zu finden, befindet sich also höchstens im Niedrigstlohnsektor, ist nicht krankenversichert, erwirbt keinerlei Rentenanspruch, bleibt also arm und perspektivlos.

„Gesichter der Armut in der Stadt“ – sie begegnen noch viel höherem Maß in den Kontinenten des Südens selbst. Zum Beispiel in Afrika: Dieser Kontinent umfasst 20 Prozent der Landfläche der Erde und 12 Prozent der Weltbevölkerung. Afrika ist reich an Rohstoffen. 

Es besitzt 90 Prozent des Kobalts, 70 Prozent des Kakaos, 60 Prozent des Kaffees, mehr als 50 Prozent des weltweiten Goldes, 50 Prozent der Phosphate, 40 Prozent des Platins und reiche Ölfelder. Doch trotzdem zählen nur zwei von 54 Staaten, nämlich Seychellen und Mauritius – also Zwergstaaten – zur Kategorie der Schwellenländer, acht Staaten zu den potentiellen Reformländern (Äquatorialguinea, Botswana, Ghana, Gabun, Kap Verde, Lesotho, Namibia und Südafrika). Dem Rest werden keine Entwicklungschancen zugebilligt. 13 Staaten gelten als Länder ohne jede Perspektive (unter ihnen Somalia und Kongo). Das heißt: eine Entwicklung im Sinne nachhaltiger Armutsreduzierung wird ausgeschlossen. Trotz der geleisteten Entwicklungshilfe von über 500 Milliarden US-Dollar ist es nicht gelungen, die Verelendungsspirale zu stoppen. Der Anteil der Staaten südlich der Sahara am Welthandel beträgt zwischen 1,0 und 1,5 Prozent.

Hinzu kommt, dass nach Schätzungen von UNAIDS ca. 65 Prozent der mit HIV-infizierten Menschen in Afrika leben, wenn gleich es hier regionale Unterschiede gibt. Und noch eine Zahl: 30 Prozent der weltweit ca. 9 Millionen Flüchtlinge und sogar knapp die Hälfte, nämlich 11,5 Mio. der 21 Mio. Binnenflüchtlinge sind Afrikaner.

Das Milleniumsziel, bis zum Jahr 2015 die Zahl der von absoluter Armut betroffenen Menschen um die Hälfte zu reduzieren, so kann man heute schon sagen, wird verfehlt. 

Bedenklich dabei ist. dass die Staaten, die am meisten Entwicklungshilfe erhalten, bei den Milleniumszielen am schlechtesten abschneiden. 

Armut treibt die Menschen in die Städte. Sie meinen, dort eher eine Perspektive zu finden.

Aber meist haben sie nur wenig, um sich über Wasser zu halten. Sie leben – kann man das wirklich Leben nennen? – sie leben auf engstem Raum in Favelas in Lateinamerika, Townships in Südafrika oder Slums. Deshalb hat sich die städtische Bevölkerung in fast allen afrikanischen Ländern in den letzten 40 Jahren nahezu verdoppelt. Spitzenreiter sind dabei Gabun mit 89 und Mauretanien mit 74 Prozent; in Afrika südlich der Sahara sind es insgesamt im Durchschnitt über 40 Prozent. Ein Beispiel für die rasant wachsenden Städte ist Nairobi. Die Stadt hatte vor 50 Jahren rund 250.000 Einwohner, heute sind es über 2,7 Millionen.

„Die Gesichter der Armut in der Stadt“ sind in den Ländern des Südens überwiegend jugendlich und / oder weiblich. Jugendlich aufgrund der hohen Geburtenzahlen und des dadurch hohen Anteils Jugendlicher an der Gesamtbevölkerung im Gegensatz zu Europa, in manchen afrikanischen Ländern aber auch wegen AIDS. Die Folge dieser Pandemie sind sogenannte Kinderfamilien, weil die Eltern gestorben sind. Es gibt eine Zunahme von Straßenkindern, dadurch Ausbreitung jugendlicher Kleinkriminalität. Und was leider auch immer noch gilt, ist, dass verarmte und perspektivlose Jugendliche ein Rekrutierungsreservoir für die Kinderarmeen und Banden sind.

Weil Frauen in vielen Ländern nicht gleichberechtigt sind, sind sie in besonderer Weise von Armut betroffen. Sie werden mit einem Federstrich von Männern verstoßen, können nicht zu ihren Familien zurückkehren und landen häufig in der Prostitution.

Das sind skizzenhaft einige Bilder von Armut in der Stadt, wie sie außerhalb Europas begegnen. Dass Menschen dort in weitaus höherem Maße von Armut betroffen sind, hat vielerlei Gründe, von Menschen verursachte wie Machtmissbrauch oder Korruption, deren Ursachen aber schon aus der Kolonialzeit stammen und die in der Zeit des Kalten Krieges weiter Bestand hatten, weil hier jede Seite nur daran interessiert war, dass die ehemalige Kolonie sich nicht dem anderen Machtblock zuwendet. Viele diktatorische und Menschen verachtende Systeme wurden so gestützt. Kein Wunder, dass diese mehr in die eigene Tasche gewirtschaftet als zu einer gerechten und guten sozialen für alle Menschen beigetragen haben. Heute spielt auch der Ruf nach einer Liberalisierung des Handels eine eher negative Rolle. Damit werden keine gerechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geschaffen, vielmehr nutzt die Liberalisierung den Stärkeren. Es ist doch ein Unding, wenn beispielsweise ein Sack einheimischer Reis mehr kostet als der vom Ausland importierte.

Regenerative Energie, die nach dem Beschluss über das Aus der Atomenergie mehr und mehr gefordert wird, hat für die Länder des Südens teilweise verheerende Auswirkungen.

Multinationale Konzerne kaufen mehr und mehr Land in anderen Kontinenten auf zum Anbau von Pflanzen zur Energiegewinnung. Land, das eigentlich für die Nahrungsmittelgewinnung dringend gebraucht wird. Noch dazu werden Einheimische oft von ihrem angestammten Land vertrieben. Auch so wird Armut weiter getrieben. 

Schließlich möchte ich aber noch ein innerafrikanisches Phänomen erwähnen, auf das ich bei meinem jüngsten Afrikabesuch aufmerksam gemacht worden bin. Weil die Misere und das Elend so allgegenwärtig sind wie das Wissen um den Wohlstand der eigenen Eliten und um den der Menschen in den Staaten des Westens und weil dieser Wohlstand für die Menschen in Afrika völlig unerreichbar erscheint, sind viele Afrikanerinnen und Afrikaner anfällig für spirituelle Heilsversprechen. Von magischen Mitteln aller Art wird die Antwort auf alle Probleme erwartet. Der Hexenglaube ist ein äußerst wirksames Instrument der sozialen Kontrolle, mit dem Macht- und Besitzverhältnisse zementiert und ökonomische Dynamik an der Entfaltung verhindert werden.

Was kann man, was sollte angesichts der unzähligen Gesichter der Armut getan werden?

Mein Fazit: Die Sache ist unheimlich komplex. Es gibt kein Patentrezept aber auch keine 

Alternative zum weiteren Engagement.

• Wichtig ist es, davon weg zu kommen, wir wüssten, wie eine Situation sich verbessern lässt. Die Überzeugung, dass mit Wissenschaft, Technik und genügend Geld alles machbar ist, führt in die Irre. Das Aidsproblem lässt sich beispielsweise nicht mit Informationskampagnen und Kondomen lösen. Vielmehr gilt es, die Menschen in Afrika und anderen Armutsregionen in ihrem Denken und Fühlen ernst zu nehmen, ihre Ideen und Strategien zu stärken. Partnerschaft ist gefragt!

• Es wäre schlecht, auf Entwicklungshilfe oder Entwicklungszusammenarbeit zu verzichten, weil sie so oft missbraucht wurde oder zu wenig Erfolg zeitigt. Wichtiger ist, sie in die richtigen Kanäle oder zu den richtigen Akteuren zu bringen, dass verantwortungsvoll damit umgegangen wird und Menschen auf möglichst breiter Basis geholfen wird.

• Wichtig ist es, lokale Initiativen zu stärken, beispielsweise durch Mikrokredite, wobei es auch in diesem Bereich schon einige Missstände gibt. Kirchen und Nicht-Regierungsorganisationen auf lokaler oder regionaler Ebene sind meiner Überzeugung nach in diesem Bereich hilfreiche Akteure.

„Gesichter der Armut in der Stadt“ – Es braucht viele unterschiedliche Strategien, um Menschen in Afrika und anderen Armutsregionen aus ihrer Randexistenz und Misere herauszuhelfen. Menschen ohne Perspektive lassen sich auch durch hohe Mauern und tiefe Meere nicht von dem Versuch abhalten, auf die Inseln der Reichen zu gelangen.

Infektionskrankheiten kennen keine staatlichen Grenzen, und dauerhafte Umweltzerstörungen haben Auswirkungen, die global zu spüren sein werden. Der Einsatz für die Armen in unseren Städten und auf der ganzen Welt ist deshalb nicht nur eine Konsequenz unseres Glaubens, das sicherlich in besonderer Weise, der Kampf gegen die Armut geschieht aber auch im wohlverstandenem Eigeninteresse der reicheren Länder.