11 September 2023 16:00 | Humboldt Carrè

Rede von Markus Dröge



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Markus Dröge

Evangelischer Bischof, Deutschland
 biografie
I.
 
Für mich ist es eine besondere Freude, dass das Internationale Friedenstreffen der Religionen und Kulturen in diesem Jahr in Berlin stattfindet. Ich war 10 Jahre lang, von 2009 bis 2019, evangelischer Bischof dieser Stadt. Vielleicht ist es für einige von Ihnen überraschend, dass in Berlin die größte Gruppe der Gläubigen die evangelischen Christen sind, so dass ich als protestantischer Bischof der leitende Geistliche der größten Religionsgemeinschaft dieser Stadt war. Berlin ist seit der Reformationszeit traditionell evangelisch, bis vor gut 100 Jahren war der Preußische König sogar gleichzeitig der evangelische Bischof. 
 
Mit der Gemeinschaft Sant´ Egidio fühle ich mich seit Beginn meines Bischofsamtes verbunden: Mich überzeugt die geistliche Kraft, die Friedens- und Versöhnungsarbeit der Gemeinschaft, der Mut und die Hoffnung, die Sant´ Egidio ausstrahlt. An vielen Friedenstreffen in europäischen Metropolen habe ich teilgenommen. Und nun freue mich sehr, dass das Treffen 2023 in Berlin stattfindet. 
 
Es ist ein großes Verdienst der Gemeinschaft, dass sie das Erbe des Friedensgebets von Assisi von Papst Johannes Paul II mit den jährlichen Friedenskonferenzen pflegt. Denn Johannes Paul hatte 1986 mit großer Weitsicht erkannt, worum es heute geht: Die Religionen müssen sich zusammenschließen, um dem Frieden zu dienen. Dahinter stand die Erkenntnis, dass die Religionen nicht selbstver¬ständ-lich dem Frieden dienen. Sie können auch missbraucht werden. Dann spalten sie, vertiefen die Gegensätze der Kulturen, befeuern schädlichen Nationalismus und legitimieren Hass. Weil Religion ambivalent ist, müssen die Religionen sich gegenseitig ermutigen, anstiften, motivieren, ihre geistlichen Versöhnungs- und Friedenskräfte stark zu machen. Ein ganz besonderes Ereignis war es deshalb, als in Abu Dhabi im Jahr 2019 der Text „Human Fraternity“ von Großimam Al Tayeb und Papst Franziskus unterzeichnet wurde: Alle Menschen sind Geschwister vor Gott! Ich glaube, die Welt hat noch nicht begriffen, wie bedeutend dieser Text für die Zukunft ist.  
 
II.
 
Hier in Berlin wird die Frage, welche Wirkungen die Religionen haben, öffentlich und kontrovers diskutiert. Mehrheitlich gibt es in Berlin eher Skepsis gegenüber Menschen, die ihre Religion bewusst und öffentlich leben. Religion steht unter dem Verdacht, eher Unfrieden zu stiften, als Versöhnung zu bewirken. Besonders deutlich wird dies an einem Beispiel:
 
Es gibt in Berlin ein Gesetz, das „Neutralitätsgesetz“. Es verbietet Lehrerinnen und Lehrern, religiöse Zeichen zu tragen, es sei denn, sie sind Religionslehrer. Eine muslimische Lehrerin darf, nach diesem Gesetz, im Unterricht kein Kopftuch tragen; ein jüdischer Lehrer keine Kippa; eine christliche Lehrerin kein Kreuz. Dagegen hat eine muslimische Lehrerin vor dem Verfassungsgericht geklagt und Recht bekommen. Pauschal, so das Urteil des obersten deutschen Gerichts, darf es nicht verboten werden, ein Kopftuch zu tragen. Ein Verbot darf nur ausgesprochen werden, wenn nach¬weislich durch das Tragen des Kopftuches der Schulfrieden gefährdet wird. Die Situation ist im Moment hier in Berlin so: Das Gesetz ist weiter in Geltung, wird aber nicht konsequent angewendet. – Dieses Beispiel zeigt, dass Menschen, die religiös leben, unter Beobachtung stehen: Bin ich, auch wenn ich ein Kreuz trage, wirklich tolerant, friedlich, neutral gegenüber allen Menschen eingestellt? Oder bin ich nicht verdeckt intolerant und gefährde den Frieden, weil ich mich über andere Religionen und Kulturen erhebe?
 
Dieses Beispiel macht deutlich, wie ambivalent die Kraft der Religion hier in Berlin wahrgenommen wird. 
 
III.
 
In dieser Situation ist der Dialog der Religionen eminent wichtig! Menschen, die sich religiös verstehen, die in ihrem Glauben verwurzelt sind und darin den Sinn, die Kraft und die Orientierung für ihr Leben finden, müssen zeigen, dass ihre Spiritualität eine Friedenskraft ist. Sie müssen öffentlich vorleben, wie sie miteinander im Diskurs stehen, sich gegenseitig achten und gemeinsam zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen. Auch hier nenne ich einige Beispiele: 
 
Das eine ist der Trauer- und Gedenkgottesdienst, den wir einen Tag nach dem Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016, gefeiert haben. Innerhalb von nur einem Tag haben wir diesen TV-Gottesdienst zusammen mit muslimischen und jüdischen Geschwistern vorbereitet, um sehr deutlich zu zeigen: Wir stehen gemeinsam gegen Hass und Gewalt! Das war sehr wichtig, um nicht denen das Feld zu überlassen, die die Religionen und Kulturen gegeneinander aufhetzen wollen. Interreligiöse Gottesdienste bei öffentlichen Ereignissen gehören zum gesellschaftlichen Leben von Berlin. 
 
Das zweite Beispiel ist das House of One. In Berlin wird ein Haus für die drei großen monotheistischen Religionen gebaut: Juden, Christen und Muslime. Es wird drei spirituelle Räume geben, in denen die Religionen ihre eigenen Traditionen unvermischt zelebrieren können. Und es wird einen Raum geben, in dem es Veranstaltungen, Begegnungen, Ausstellungen, Seminare und vieles mehr geben kann. Hier wird öffentlich gezeigt werden, was das Zusammenleben von Religionen bewirken kann. 
 
Als drittes Beispiel möchte ich ein eindrückliches Gespräch erwähnen, das ich auf einer Reise in den Nordirak im März diesen Jahres führen konnte: Ich habe dort mit einem christlichen Bischof gesprochen, der über die Religion der Jesiden promoviert hat und ein tiefes Verständnis dieser friedfertigen Religion gewonnen hat. Er setzt sich jetzt sehr engagiert als Christ gemeinsam mit den Jesiden für eine Gesellschaft ein, die religiöse Minderheiten schützt. Gegenseitiges Verstehen ist eine Friedenskraft! 
 
Ich glaube also, dass alle Religionen heute vor der Aufgabe stehen, ihre Friedensfähigkeit, ihre Versöhnungskraft, ihre ethische Orientierung an der Würde des Menschen, noch sehr viel deutlicher als bisher zu entdecken, zu leben und zu zeigen. Die grundsätzliche Skepsis gegenüber der Wirkung von Religion gibt es nicht nur in Berlin, es gibt sie an vielen Orten der Welt. Die Religionen stehen auf dem Prüfstand. Sie müssen zeigen, was sie für den Frieden leisten können. 
 
Warum also ist der interreligiöse Dialog ein Gewinn für den Frieden? Der interreligiöse Dialog setzt Motivationskraft frei, um sich für den Frieden zu engagieren. Und er zeigt, dass Frieden möglich ist, weil Menschen bereit sind, die Überzeugungen der anderen kennenzu¬lernen, zu respektieren und den Nächsten als Bruder und Schwester vor Gott zu achten, auch wenn er oder sie eine andere religiöse Überzeugung hat. So kann verhindert werden, dass aus religiöser Diffamierung Hass und aus Hass Gewalt entsteht.  
 
Als Großimam Al Tayeb aus Kairo im Jahr 2017, dem Jahr des Reformationsjubiläums, hier in Berlin zu Besuch war, habe ich mich mit ihm zu einem Gespräch getroffen. Er sagte: „Wir – und er meinte damit die Muslime – brauchen Euch, um gegen den Missbrauch unserer Religion für Hass und Gewalt zu kämpfen. Diesen Kampf können wir nur gemeinsam gewinnen.“ Und das gilt umgekehrt genauso: Wir Christen brauchen Euch, die Muslime, die Juden, die anderen Religionen, damit wir uns im Dialog gegenseitig stärken und gemeinsam gegen die Friedlosigkeit unserer Welt unsere positiven spirituellen Kräfte einsetzen können.